Sattele deine Seele und lass sie entrinnen, mit blinden Augen wirst du den Weg schon finden, Atme den Atem ein – lasse die Gedanken schweben, langsam werden sie frei – lasse sie im Wind gleiten
Die Spindel spinnt – in Gedanken verwoben, in Sicht gewoben, magischer Gesang, entziehe der Seele Form und Gestalt, komm aus der Tür, komm durch den Spinnennetz-Schleier, komm, auf nackten Füßen, der, der die schwere Last trägt
In deinem Innerem erwartet dich ein steiler Weg, hoch auf der Spitze der Heilung erwarten dich neun weitere Mühen
Wenn du an der ersten Kreuzung stehst, wirst du innehalten, lege deine Kleidung nieder und alles, was du eigen nennst, auf dem Weg, den du beschreitest, wirst du nichts davon brauchen, die Last erleichtert, der Weg dennoch steil
Wenn du an der zweiten Kreuzung stehst, wirst du innehalten, lege deine Zeit nieder und alle Gedanken, die dich runterziehen, auf dem Weg, den du beschreitest, wirst du nichts davon brauchen, die Last erleichtert, der Weg dennoch steil
Wenn du an der dritten Kreuzung stehst, wirst du innehalten, lege deine Ängste nieder und alle Masken, die du trägst, auf dem Weg, den du beschreitest, wirst du nichts davon brauchen, die Last erleichtert, der Weg dennoch steil
Nackt auf der Spitze, der Berg erkennt dich, Nordwogen blasen wie Adlerschwingen, tragen den Wind, Schattenfrauen tanzen über deinem Antlitz, raunen Runen, auf mächtige Art, nur für dich
Wunde und Krankheit, aus Mark und Knochen, aus Fleisch und Blut, aus Muskel und Haut in das Wetter und in den Wind, wirst du verschwinden, ich beschwöre dich auf den blauen Berg, wo weder Mond noch Sonne dich erreichen, ich beschwöre dich in den verlassenen Wald und auf die See, die niemand befährt, tief unter dem standhaften Stein, außer Gefahr, rinne durch fließende Flüsse, werfe dich in Wellen
In das Wetter und in den Wind, wirst du verschwinden, weder Mond noch Sonne, können dich erreichen, sinke in die See, die niemand befährt
Und rinne durch Flüsse, Und werfe dich in Wellen
Der Berg der Heilung steht für alle Ewigkeit, für Trost der Kranken und Verletzten, Ein jeder, der den Berg erklimmt, wird lebenslang geheilt sein
Lege dich nieder auf dem Berg der Heilung, wo alle Flüsse, nach Norden und abwärts fließen, denn der Berg heilt all jene, die ihn besteigen
Zu diesem Lied gibt es auch ein Video.
Neben der Tatsache, dass dieses Lied einen Trance ähnlichen Zustand hervorrufen kann, hat meinen besten Freund und mich der Text bewegt und die Nähe zu unserer Art, das Heidentum zu leben, aufgezeigt. Uns wurde schnell klar, dass man den Lyfjaberg auch durchaus real gehen kann. Und was das für uns bedeuten kann.
So bereiteten wir uns vor und trafen uns in der Eifel, 7 Uhr morgens, mit unseren Opfern und Gedanken im Gepäck und liefen los.
Auf den ersten Kilometern, die im Wesentlichen eben verliefen, unterhielten wir uns über alle Themen, die uns in letzter Zeit bewegten. Insbesondere aber über die Opfer, die wir heute bringen wollten. Mit fortführendem Weg und mit steigender Anstrengung lösten sich Gedanken und ggf komplexere Lagen und teilweise fanden wir die Lösung selbst, bevor wir selbst fertig waren den Gedanken zu Ende zu schildern, wenn ihr versteht was ich meine.
Mit dem Südwind im Rücken liefen immer weiter Richtung Norden, wir waren nahezu alleine unterwegs, und bald auch fernab jedweder befahrenen Strasse. Ruhe. Nur der Wind und ein paar Tiere waren zu hören. Hier haben wir uns an Wardruna-Runaljod erinnert. Hier wurden ja viele Naturgeräusche begleitend zur Musik verwendet. Hier, fernab von Strassen, gar anderen Menschen, gingen wir nun genau durch diese Geräuschkulisse.
Der Weg führte uns über einen Waldweg bergab, bis wir einen Bach erreichten. Hier wendeten wir uns Richtung Süden und erreichten bald eine Fuhrt und eine Brücke. Hier war die erste Kreuzung, aber noch nicht der Ort für das erste Opfer. An dieser Kreuzung hätten wir einfach weiter dem Bach folgen können oder aber einen Berg hinauf gehen können. Wir wählten den Berg.
Nach wenigen, sehr steilen Metern erreichten wir eine dreistämmige, mächtige Buche! Beeindruckend. Hier gaben wir unser erstes Opfer (Wenn du an der ersten Kreuzung stehst, wirst du innehalten, lege deine Kleidung nieder und alles, was du Eigen nennst, auf dem Weg, den du beschreitest, wirst du nichts davon brauchen, die Last erleichtert, der Weg dennoch steil).
Wir setzten unseren Weg weiter fort. Auf ca 400m Strecke macht man hier ca 125 Höhenmeter! Wir liefen nun eine kleine Schleife und erreichten bald wieder den Waldweg, der uns ins Tal an den Bach brachte. Und genau diesen nahmen wir erneut bis wir wieder an Fuhrt und Brücke standen. Wieder standen wir an der Kreuzung. Und wieder bestiegen wir den Berg.
In der 2. Runde entdeckte ich Wollgras. Das stand auch in der ersten Runde über den Berg da, aber das war ich noch mit mir selbst beschäftigt.
Und auch wenn ich gut schnaufte, und mich da rauf kämpfte – ich sah das Wollgras, fasst es an, und war sofort mit den Gedanken und im Herzen auf Orkney – ein glücklicher Moment. Schön ihn mit einem Freund zu teilen.
An der mächtigen Buche brachten wir weitere Opfer. Die zweite Besteigung kostete merklich Kraft. Mittlerweile war uns beiden warm und wir waren froh das die Temperatur deutlich unter 15 Grad blieb.
Als wir das dritte Mal an Fuhrt und Brücke erreichten wählten wir den Weg, der uns weiter am Bach entlang Richtung Süden bringen würde. Ein drittes Mal hätte ich den Berg aufgrund meiner Verletzung nicht laufen können.
Landschaftlich herrlich und in absoluter Ruhe konnten wir unseren Weg weiter gehen. Im letzten Drittel des Weges gibt es ein paar schöne Ecken, die zu einer Pause einladen. Das hätten wir auch gerne genutzt, aber find es an zu regnen. Nein, zu schütten.
Die Temperatur sank deutlich und es war als würden die Götter sagen “ jetzt zeigt, dass ihr es wirklich wollt“
Es galt kurz vor dem Ende des Weges noch einen kleinen, aber steilen Berg zu erklimmen an dessen Ende eine offene Scheune steht. Hier stellten wir uns unter, um das von mir mitgetragene Bier zu genießen. Ein paar Meter weiter wurde das letztes Opfer gebracht, und wir machten uns auf dem direkten Wege zu Haus.
Es waren nur noch 1,5km zu gehen, aber Wind und sehr kalter Regen machten es uns nicht leicht. Komplett durchnässt und nach 15 gelaufenen Kilometern erreichten wir das Haus. NICHTS ist trocken geblieben. Duschen, Feuer entfachen und still zurückblicken, auf unsren gelaufenen Lyfjaberg
Der Weg war fordernd, anstrengend, aber gut.
Er ist aber noch nicht zu Ende.
Im Herbst gehen wir noch einmal auf unseren persönlichen Lyfjaberg, dann hier am Niederrhein.
Wardruna macht Türen auf, immer wieder.