Runen im winterlichen Geäst

Der April macht was er will, heißt es. Regnerisch, sonnig, windig, kalt oder warm und nicht selten gibt es Gewitter und Schnee. Und was für den April gilt, lässt sich inzwischen auch über den Januar sagen. Zumindest bei uns im Norden. In anderen Regionen ist das sicher ähnlich. Von klaren Frosttagen über grautrüben Niesel bis frühlingshaft ist alles dabei…innerhalb weniger Tage.  

Die Tage werden langsam wieder länger, langsam. Abendrot kehrt früh ein. Das Geäst der Bäume hebt sich kontrastreich ab und man erkennt im winterlich-laublosen Astwerk vielverzweigte Runen. Im letzten Licht des Tages zeigt sich im Dunst ein Leuchten – wie ein Leuchten im Disensaal.

In der altnordischen Dichtung wurden die Götterwohnsitze häufig als salr bezeichnet bzw. der ganze Kosmos in „Sälen“ gedacht: Fensalir, Bergsalr, Heimsalr, Sólarsalir, Mánasalir usw. Sich die Stätte als Saal vorzustellen oder auf diese Weise zu umschreiben, ist eine dieser schönen alten Ausdrucksformen, in der eine gewisse Ehrfurcht mitschwingt.

Den Alfen und Disen Verehrung entgegen zu bringen, speziell an den Übergängen der Vegetationszeit, also der Zeit zwischen Winter und Frühjahr und der Zeit zwischen Herbst und Winter, halte ich für eine gute Sache. Dies fällt in den Bereich der häuslichen Opfer, die primär Haus und Hof betreffen. Insbesondere die Alfen werden häufig als die ursprünglichen Besitzer des Hofes angesehen. Sie sind aber nicht nur dort anzutreffen, sondern auch an vielen verlassenen Stätten da draußen. Uns fallen diese Orte oft besonders ins Auge, oder besser ins Gefühl, weil wir durch unsere heidnische Orientierung recht sensible Antennen besitzen.

Heil’ge Disen, wir rufen euch.

Gabenspendende, Segen und Fülle Sendende.

Schützt  Haus und Hof

Und wirkt in Wald und Flur.

Frauen bringt ihr sichere Geburt,

laßt Kinder wachsen und wohl gedeihen

Gebt Schutz unseren Sippen und führt Männer heil heim aus Gefahr.

Nehmt Platz im lichten Saal und seid stets willkommen.

Gedanke und Erinnerung

Letzten Herbst war ich frühmorgens im Wald unterwegs. Kleine Wanderung, Atmosphäre aufnehmen, Geist öffnen und Gedanken klären und einfach…ja, die Ruhe des Waldes genießen. An einer besonderen Stelle brach der Ruf eines Raben in die Stille – und das war einer dieser Momente, die einem ganz besonders erscheinen, die sich deutlich aus der Alltäglichkeit herausheben und es für einen selbst unvergesslich machen. Ich notierte mir also ein paar Zeilen…

Blassblaue Wolken liegen über dem Wald. Von der Erde umliegender Felder hebt sich feiner Dunst und sättigt die frische Luft des warmen Vortages. Düster wirken die Laub- und Nadelbäume, wenn sie still und unbewegt in der hellen Landschaft emporragen. Die schwarze Erde der umliegenden Felder zu ihren Füßen.

In den Morgenstunden kurz nach Tagesanbruch wandere ich den Weg in den Wald. An einer Kreuzung begegne ich einem Reiter und ruhigen Trabes umfängt ihn auf seinem Pferd die Morgenstimmung. Wir grüßen uns flüchtig, während mich mein Weg weiter auf eine Lichtung führt. Gegen den hellen Himmel stehen in dunkelgrünem Kontrast die hohen Stämme. Langsam zeichnet sich weit oben eine schwarze Kontur ab, am Wolkengrau. Ein dunkler, näher kommender Punkt im Astwerk. Dann erkenne ich ihn, den Raben. Sein schwarzes Gefieder ist so herrlich anzusehen. Mitten in der Lichtung stehe ich und beobachte gebannt seinen Flug. Dann durchbricht der heisere Ruf die Stille und hallt an vielen Baumstämmen wider. Der Ruf eines zweiten Raben folgt etwas leiser in der Entfernung, während auch er sich nähert. Im Widerklang vereinen sich ihre Stimmen.

Ich erkenne, wie sie durch’s Geäst gleiten und sich im Baumwipfel niederlassen, unweit von mir entfernt. Dort werden sie für mich unsichtbar. Als ich weitergehe, erheben sie sich und kreisen über dem Wald. Wieder hallt ihr Rufen über mich hinweg in die Weite des Waldes. Immer wieder kann ich sie direkt über mir erkennen, als würden sie mir folgen. Doch nach und nach verebben ihre Laute während sie höher gleiten. Dann sind sie meiner Sicht entzogen. Kein Hinweis scheint mehr auf diese Begegnung hinzudeuten. Was bleibt sind Gedanke und Erinnerung. Funkelnde Strahlen dringen in der Höhe der Wipfel hervor und verlaufen sich auf dem feuchten Moos am Boden.