Wo göttliche Mächte walten

Wenn ich hin und wieder in den alten Eddas und Sagas lese, dann werde ich mir oft der Tatsache bewusst, wie nüchtern die Menschen dieser Zeit ihren Alttag bestritten. In der Bestellung des Ackers, beim Fischfang und bei der Schifffahrt oder im Kampf mit einem Gegner fühlten sie sich offenbar recht wenig von kultischen Vorschriften behindert. Sie pflegten einen geradezu natürlichen Umgang mit ihrem von göttlichem Wirken durchzogenem Leben und zollten den religiösen Grundlagen dennoch gebührenden Respekt.

Heute ist das nicht anders: Unser alltägliches Leben und Handeln ist eingebettet in eine unverrückbare Ordnung, in der die göttlichen Mächte zwar nicht immer wahrnehmbar im Blickfeld stehen, doch in entscheidenden Momenten eine unmittelbare Rolle spielen können.

Nun stand ich letztens in meiner Werkstatt und dachte, wie schön kreatives Schaffen, gestaltende Kräfte, die richtigen Einfälle und Verwirklichung doch sind. Diese Orte der Inspiration können ganz unterschiedlich sein. Und dann kommen doch manchmal diese Momente, in denen die Hülle des profanen Alltags aufreißt und einen innehalten lässt. Für diese Augenblicke der kurzen Einkehr ohne größere kultische Vorschriften habe ich mir so meine Ecken eingerichtet – in der Werkstatt zum Beispiel… eine Götterecke…

Ein zweiter Bereich befindet sich in unserem Hauswirtschaftsraum, in dem ebenfalls eine kleine Werkbank von mir steht – darüber dann dies:

Diese kleinen häuslichen Götterecken erinnern jederzeit daran, dass das Heilige im Leben überall anzutreffen ist und nicht nur im Heiligtum, Tempel oder während der Jahresfeste. Etwas weitergefasst lässt sich auch sagen, dass sich die Tradition des Hausaltars fast überall auf der Welt wiederfinden lässt und oft sehr weit zurückreichen.

Den Wuchs lenkt das Wetter

Traue nicht dem frühbesäten Acker, sagt ein Eddaspruch (Hávamál 88), denn veðr ræðr akri, was soviel heißt wie… den Wuchs lenkt das Wetter.

Früher war es so, dass die Ernte nicht das Ergebnis einer Produktionsschlacht gewesen ist, sondern eine Gabe, die dem mitunter von Entbehrungen geprägten Dasein mühsam abgerungen werden musste. Dafür war mancherlei Segen nötig; der Segen der Götter, welche beim Frühlingsopfer angerufen wurden, die huldvolle Hilfe der Landwichte und anderen Wesen in Feld und Flur und zuletzt auch das Wohlwollen der freundlichen Ahnengeister. Dieser Segen war notwendig, um die Gabe der oft harschen Umwelt abzutrotzen – einer Umwelt, in die plötzlich feindliche Mächte einbrechen konnten: übermäßige Dürre oder starke Nässe, Hagelschlag und Gewitterstürme, Überschwemmungen oder Bergsturz können in einem Augenblick die Aussicht auf eine gute Ernte zunichte machen.

Auch heute erleben wir noch dieses Zusammenwirken mit der Natur, sei es auf dem Hof und im Garten oder bei kleinen wie großen Pflanzen. So wird das alltägliche Leben zwar noch nicht zu einer fortwährenden heiligen Handlung, aber es bekommt in einigen Momenten doch eine gesteigerte Intensität, die unmittelbar in die Sphäre der Götter hineinreicht. Daher wird der Lauf des Jahres – und des Lebens – von althergebrachten Kulthandlungen begleitet, die in den bedeutungsvollen Augenblicken in feierliche Feste münden. Im Grunde kann man sagen, dass im profanen Alltag immer auch ein Hauch des religiösen Erlebnisses im Hintergrund mitschwingt. Das nimmt man oft gar nicht wahr, weil Arbeit, Anspannung und Beschäftigung in den Vordergrund rücken. Doch hin und wieder erscheinen diese kurzen Momente, die die Aussicht auf den sonst verhüllten Hintergrund aufreißen.

Wandel, Erwachen und Erneuerung

Mit bunten Farben erstrahlst du am Himmelstor,
und deckst die schwarze Hülle auf,
machst wach und fährst mit roten Rossen
auf gut geschirrtem Wagen einher.

Rings aufleuchtend und in ein helles Kleid gehüllt,
unsterbliche Göttin auf lichtem Wagen.
Uralt, doch immer jung, allen Wesen zugewandt,
bringst hervor das aufsteigende Licht.
Erhabene Göttin, die sich hellrot erhebt nach heiligem Recht,
Morgenröte und Lebenskraft bringend;
Ostara, Deinem Wachen gehe ich mit Gaben froh entgegen.

Gewöhnlich wird Ostara als ein junges und schönes Mädchen beschrieben und ohne Zweifel ist sie das. Dennoch bleibt sie zeitlos und es wird von ihr gesagt, dass sie stets wiedergeboren wird und die Wege der vergangenen Morgenröten wandelt. Sie ist alt und doch ewig jung und unsterblich.

Nach den langen Wintermonaten, in denen das Leben wie tot in dunkler Erde ruhte, gewinnt alles wieder an Kraft und fängt an zu wachsen – begleitet von der jungen Frühjahrssonne, die in allmorgendlicher Röte erwacht. Auch im Herbst erreicht sie wieder ihren östlichen Punkt, aber hier ist sie nicht mehr das junge Licht, das mit ihren wärmenden Strahlen die Saat aktiviert und die Lebenskräfte der fruchtbaren Erde entfaltet. Eostra – Austrô – Ostara ist jene, die im neuen Jahreskreis erstmals den Frühlingspunkt erreicht.

Auf eisigem Grund fährt dein Wagen ein,
erweckt alle Wesen und schafft neues Leben.
Das Dunkel ist nun vergangen, Licht kommt herbei.
Die Morgensonne machst du frei und den Weg zum Wandeln.
Wir sind dahin gelangt, wo sich das Leben fortsetzt.

  • Ostara öffnet täglich die Pforten des Himmels und fährt auf einem reich geschmückten Wagen daher.
  • Sie erweckt alle Wesen und schafft überall neues Leben.
  • Sie trägt ein helles Gewand und vertreibt in früher Morgenstunde die Dunkelheit.
  • Sie wird als Bringerin der täglichen Morgenröte und des Lichts verehrt.
  • Sie ist das, was das Leben antreibt, Dinge in Bewegung setzt, die Dunkelheit vertreibt und damit alle darin verborgenen Dinge aufdeckt.

In früheren Vorstellungen lagen die beiden Gewalten des Winters und des Sommers in einem fortwährenden Wettstreit: die lichte, fruchtbare Lebenskraft musste den dunklen, alles erstarrenden Winter besiegen. Unter damaligen Lebensbedingungen konnte der Winter existenzbedrohende Auswirkungen haben. Die erwachende Sonnenkraft, die der Erde Leben und Fruchtbarkeit zurückbringt, stellte man sich als junge Frau vor, als wiederkehrende weiße, ja hellstrahlende Göttin. Ihr heiliger Baum ist die Birke.

Es sind wunderschöne Momente, am frühen Morgen durch die Wiesen, am Waldesrand oder an anderen schönen Orten entlang zu gehen. Gerade in dieser Zeit gehe ich morgens gerne laufen und genieße es, wenn die ersten Sonnenstrahlen hellrot im Nebel der Felder und dem dahinter liegenden Wald aufgehen. Jetzt ist ja gerade dieser Übergang zwischen Winterstarre und frühlingshafter Aufbruchstimmung. Nachts ist es teilweise noch empfindlich kalt, während die Temperaturen tagsüber schon in den zweistelligen Bereich klettern. Irgendwie ist es nicht mehr so richtig eisig, aber auch noch nicht so warm, dass richtig Frühling wäre. Man muss sich bewusst machen, dass gerade diese Phase  – die Zeit der Ostara –  neue Lebenskräfte, Ideen und Vorhaben erwachen lässt, die dann ins Sigrblót übergehen, dann während des Sommers gedeihen und reifen und im Herbst zur Ernte kommen.